Rita Falk (dtv 2014)
"Rita Falk, das ist doch die, die für
ihren Dorfpolizisten Eberhofer bekannt ist!", denken jetzt wohl viele. Das
stimmt schon so, aber Provinzkrimis à la "Dampfnudelblues",
"Winterkartoffelknödel" und Co. sind nicht das einzige, was die
Autorin aus Bayern auf den Buchmarkt bringt. Ihr Jugendroman "Hannes"
wird hoch gelobt und das neueste Werk "Funkenflieger" dementsprechend
beworben.
Zum Inhalt:
Ich-Erzähler Marvin, ob seiner krausen Haare
"Locke" genannt, ist ein 15-jähriger Schüler, der in einer nicht ganz
einfachen Familiensituation steckt: Mutter Elvira ist alleinerziehend,
arbeitslos, faul, ungebildet und dem Alkohol nicht abgeneigt. Wer sein Vater
ist, weiß Marvin nicht. Die beiden älteren Brüder könnten verschiedener gar
nicht sein: Kevin ist fürsorglich und kümmert sich um Elvira, versucht auf sie
aufzupassen - denn das muss man offenbar. Robin geht sehr unregelmäßig in der
Wohnung aus und ein, treibt sich mit zwielichtigen Typen herum, die er Freunde
nennt, die ihn aber auf Grund der dunklen Haut, die er und Kevin von ihrem
Vater geerbt haben, beleidigen und ihn ausnutzen.
Der einzige Lichtblick in Marvins Alltag ist
sein Freund und Nachbar Friedel, mit dem er ein geheimes Versteck, ein
ehemaliges Lokal einer stillgelegten Fabriksanlage - das "Casino" -
teilt. Auch Friedel hat kein einfaches Leben. Sein Vater ist jähzornig und
schlägt ihn hin und wieder.
Die Handlung kommt in Schwung, als Friedel und
Marvin erfahren, dass Kevins türkische Freundin Aicha schwanger ist - und das
im letzten Schuljahr der beiden. Aichas Familie kann Kevin ohnehin nicht
leiden, nun ist die Katastrophe vorprogrammiert. Aicha kann ihr Geheimnis nicht
bewahren und als ihre Mutter sie eines Tages wissend in der Küche erwartet und
sie noch am gleichen Tag zu den Großeltern in die Türkei schicken will,
flüchtet das Mädchen und taucht unter. Ab diesem Tag hausen Kevin und sie
versteckt im alten Casino.
Rita Falk will, so scheint es, in ihrem Roman
sehr viele, am besten alle, möglichen Probleme auf den Tisch bringen und
überlädt die Handlung damit heillos. Da ist einerseits der Konflikt, mit dem
Kevin und Aicha zu kämpfen haben: die Schwangerschaft, Aichas Familie, das
Abitur, das Leben im Verborgenen, der Sturz Aichas über die Treppe einer Unterführung
und die darauffolgende Sorge um das Baby, die zu frühe Geburt, die hasserfüllte
Mutter, die am Ende versucht, das Kind im Krankenhaus zu töten.
Dazu kommt ein Überfall auf Robin, der nachts
mit einer Eisenstange verprügelt wird und danach lange in Krankenhaus und
Reha-Zentrum verbringt. Als er wieder nach Hause kommt, ist aus dem Flegel ein
hilfsbereiter junger Mann geworden, der zu Aicha ins Casino zieht, um seinen
Bruder Kevin zu entlasten.
Auch Mutter Elvira erlebt einen Wandel, wird
von einer neuen Freundin wieder auf Spur gebracht, lernt einen Mann kennen,
wird zur Superhausfrau und findet wieder eine Arbeit.
Darüber hinaus erlebt Marvin einen großen
Verlust, als Friedel von zu Hause weggeschickt wird und fortan bei seinen
Großeltern in Heidelberg wohnt. Aber auch Marvin ereilt die Liebe. Zufällig
lernt er im Sommer ein wunderschönes, atemberaubend cooles und aufregendes
Mädchen mit einem besonderen Namen und einer spannenden Lebensgeschichte
kennen. Dieses Mädchen - welch Überraschung! - kommt nach den Ferien als neue
Schülerin sogar in seiner Klasse, wo dank Friedels Weggang auch noch ein Platz
genau neben Marvin frei ist.
Funkenflieger ist
ein Roman, der viel will - zu viel in meinen Augen - und der dabei seinen
belehrenden Unterton nicht immer verstecken kann und alle Klischees bedient.
Gleichzeitig löst sich aber alles am Ende in Wohlgefallen auf. Der Buchrücken
verheißt "ein modernes Märchen". Märchenhaft ist in jedem Fall der
Ausgang der unglaubwürdigen Geschichte, der von der großen Versöhnung (fast)
aller Beteiligten geprägt ist und den Eindruck erweckt, als wäre eine
Teenager-Schwangerschaft doch gar nicht so ein Problem. Im siebten Monat lässt
sich Aicha noch von Kevin auf dem Gepäckträger durch die Nacht radeln und nach
der Geburt des Kindes freuen sich alle, weil die frisch gebackenen Eltern nach
Italien ziehen, damit Aicha dort Kunst studieren kann und Kevin den
Lebensunterhalt in einer Pizzeria verdienen soll. Kitsch pur! Darüber, ob sie
ihr Leben als junge Familie ohne den Beistand von Verwandten und Freunden im
Ausland überhaupt meistern werden, wenn Aicha als Mutter eines erst wenige
Monate alten Babys studiert, macht sich niemand Sorgen. Vielmehr ist alles vom
ehrgeizigen Lehrer (und neuem Freund von Elvira) arrangiert.
Vom Ende her betrachtet handelt es sich beim
neuesten Roman von Rita Falk um ein kitschiges, blauäugiges Buch, das ich
definitiv nicht weiterempfehlen kann. Alleine schon deshalb, weil der
15-jährige männliche Ich-Erzähler aus der Feder der Autorin nicht wirklich
glaubwürdig wirkt. Schade.